In Teheran ist es im Winter sehr kalt. Es liegt auch viel Schnee. In dieser Zeit waren unsere Schlafzimmer verschlossen und meine Mutter und ich lebten in dem riesigen Wohnzimmer. Ich musste einen Mantel von meiner Freundin ausleihen. In der Besuchs-zeit schaute Hossein mich von oben bis unten an und fragte: »Wem gehört dieser Mantel? Du hast keinen solchen gehabt.«
»Er ist von Frau Berdjis.«
»Geh und kaufe Dir einen Mantel, Kleider, Schuhe, alles, was Dir gefällt.«
In meinen Gedanken fragte ich mich, von welchem Geld? Ich wollte ihm aber meine eigenen Schwierigkeiten nicht erzählen. Meine Kleidung war im Schlafzimmer, und das war doch versiegelt! Ich erzählte ihm auch nicht von den vielen Besuchen der Revolutionswächter und davon, wie sie uns bedrohten und schikanierten. Stattdessen fing ich an zu weinen. »Ich weiß nicht, was wir Bahá’í getan haben, dass sie uns so behandeln.«
Da weinte auch er. Eine Frau beruhigte mich, und ein anderer Gefangener sprach mit Hossein. Die Besuchszeit war zu Ende. Am Nachmittag kam ich wieder.
»Warum bist Du wiedergekommen?«, fragte Hossein mich.
»Ich habe mir vorgenommen, noch einmal zu kommen, wenn Du geweint hast.«
»Aber Du hast doch angefangen«, sagte er da. Er fragte nach den Kindern und nach meiner Lage zu Hause.
»Sie sind gesund und zu Hause ist alles bestens«, meinte ich kurz.
Auch mit den Kindern konnte ich nicht alles besprechen, schon gar nicht am Telefon. Oft haben Wahied und Ruhi angerufen und wollten in den Iran kommen. Aber Hossein wollte nicht, dass sie sich in Gefahr begeben.
Ich beschloss, etwas zu unternehmen und beriet mich mit meinem Bruder, der Jurist war. Er riet mir, ich solle zu den Mullahs von Bazrasi-Koll-Keswar gehen und in Er-fahrung bringen, wie sie über die Bahá’í denken. Gesagt, getan. Nach einigem Hin und Her fand ich vier Mullahs, die in einem Büroraum saßen. Ich grüßte. Einer erwi-derte meinen Gruß und ich wandte mich an ihn. »Wenn ein Bahá’í in einem Bahá’í-Ausschuss tätig war, was passiert dann mit ihm? Wie sind Eure Gesetze?«
»Was ist passiert?«, wollte der Mullah wissen, der Mohasel Jazdi hieß.
»Revolutionswächter des Büros für moralische Angelegenheiten haben meinen Mann festgenommen und er ist seit über drei Monaten im Gefängnis.«
»Es ist noch nicht zu spät. Gehe und sage Deinem Mann, er soll seinen Glauben ablegen.«
»Nein, das wird er sicher nicht tun. Bitte sagen Sie mir, was geschieht in einem solchen Fall? Was sagt das Gesetz?«
»Dein Mann hat den falschen Glauben gewählt. Er glaubt an einen Mann, der sich Gott nannte.«
»Nein, es ist nicht so, wie Sie denken. Bahá’u’lláh hat gesagt, das sei eine grobe Verleumdung.«
Und dann zitierte ich Bahá’u’lláh aus der Ährenlese, einer weithin bekannten Textzusammenstellung:
»Ich bin nur ein Diener Gottes, der an Ihn und Seine Zeichen, an Seine Propheten und an Seine Engel glaubt. Meine Zunge, Mein Herz, Mein inneres und äußeres Sein bezeugen, dass es keinen Gott gibt, außer Ihm, dass alle durch Seinen Befehl erschaffen und durch das Wirken Seines Willens gebildet sind. Es gibt keinen Gott, außer Ihm, dem Schöpfer, dem Erwecker vom Tode, dem Belebenden, dem Tötenden«
»Das beweist nur, dass Sie nichts gelesen haben. Diese Bücher sollten Sie lesen«, sagte der Mullah und nannte mir einige Titel, in denen die Bahá’í-Religion verleumdet wird. Die anderen, die ebenfalls in dem Raum anwesend waren, schauten zu uns herüber. Da sagte er zu mir: »Schreiben Sie ihre Frage und ihren Namen und Adresse auf einen Zettel. Und warten Sie, bis wir antworten.« Ich reichte ihm den Zettel. Er las ihn und gab ihn mir zurück. Damit sollte ich in einen anderen Raum gehen.
Dort saß ein höherer Mullah auf seinem Stuhl mit gekreuzten Beinen. Ich ging zu ihm hin und gab meinen Zettel ab. Er schaute mich erstaunt an und las. Dann sagte auch er: »Hossein muss seinen Glauben ablegen.«
»Nein, bitte zeigen sie mir erst ihr Gesetz.«
Der Mullah schaukelte hin und her auf seinem Stuhl, dann saß er aufrecht und schaute mich von oben bis unten an. »Wir werden antworten, gehen Sie nach Hause.«
Ich bekam nie eine Antwort.